Entwicklungshilfe für EU-Themen - In Brüssel entsteht ein europäischer Newsroom

Von Burkhard Jürgens (KNA)
MEDIENENTWICKLUNG - Eine Kooperation von 16 Nachrichtenagenturen soll die Qualität der EU-Berichterstattung vor allem in Osteuropa und im Balkan verbessern. Das dürfte dort nicht allen willkommen sein.

Brüssel (KNA) Die EU hat es in Europa nicht leicht. Die Themen, die sie behandelt, sind so komplex wie ihre Institutionen, und der Horizont der 27 Mitgliedsstaaten liegt fern der Alltagswelt von Durchschnittsbürgern. In Brüssel sieht man sich und das Projekt Europa oft Unverständnis ausgesetzt, teils auch bösem Willen oder einfach Desinteresse. Dem will die EU-Kommission gegensteuern - mithilfe einer Kooperation von Nachrichtenagenturen, die Europathemen besser ins Licht setzen soll.

Die Aufgabenstellung für Medien lautete, länderübergreifend eine Plattform für Informationen von europäischer Relevanz zu schaffen: plural, multikulturell, vielsprachig. Das Projekt sollte geeignet sein, Bürger für Vorgänge in der EU zu interessieren und das Vertrauen in Online-Qualitätsjournalismus zu heben. Den Zuschlag erhielt die Idee eines europäischen Newsrooms, in dem Journalisten von 16 Nachrichtenagenturen aus 15 Ländern Seite an Seite recherchieren und ihr Wissen austauschen. Er wird nach Worten von Binnenmarktkommissar Thierry Breton Medienvertretern ermöglichen, "gemeinsam über EU-Angelegenheiten zu berichten und den Geist der Zusammenarbeit in der Heimat zu fördern". Ab Januar wird der Newsroom aufgebaut, bis Jahresmitte 2022 soll er in Betrieb sein.

Beteiligt sind die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die bei der Konzeptionierung federführend war und das Vorhaben koordiniert, sowie als weitere Zugpferde die französische AFP und die italienische ANSA; dann, in alphabetischer Reihenfolge, Agerpres (Rumänien), APA (Österreich), ATA (Albanien), Belga (Belgien) BTA (Bulgarien), EFE und Europapress (Spanien), FENA (Bosnien) HINA (Kroatien), MIA (Nordmazedonien), STA (Slowenien), Tanjug (Serbien) und TASR (Slowakei). Die Pointe liegt in der Beteiligung kleiner nationaler Nachrichtenagenturen, deren Absatzmarkt teils von gehöriger Euroskepsis geprägt ist und deren EU-Korrespondenten oft unzureichend ausgestattet als Einzelkämpfer im Brüsseler Termin- und Themendschungel stehen. Ihnen will man eine helfende Hand leihen. "Es geht in dem Projekt um Augenhöhe", sagt Peter Kropsch, dpa-Geschäftsführer.

Mit 1,76 Millionen Euro, 80 Prozent der veranschlagten Kosten, fördert die EU-Kommission die Zusammenarbeit der Agenturen über zwei Jahre. Darin eingeschlossen sind der Aufbau einer mehrsprachigen Website und drei Vollzeitstellen für Newsroom-Koordinatoren. Den Korrespondenten werden neben einem Arbeitsplatz die Nachrichtenfeeds von dpa und ANSA zur Verfügung stehen. Sie erhalten die Möglichkeit, an Trainings in Multimedia- und Videojournalismus sowie Faktenchecken teilzunehmen. Ansonsten soll sich an der eigenständigen Arbeit der Agenturen nichts ändern. Abgesehen vom digitalen Schaufenster mit einer Meldungsauswahl und kuratierten Vorzeigegeschichten wird es keinen eigenen Newsroom-Nachrichtenkanal geben, betont Kropsch, auch keine Kürzungen im bestehenden Brüsseler dpa-Büro.

EU-Kommission betont Unabhängigkeit des Newsrooms

Dass die geldgebende EU-Kommission auf eine gefällige Berichterstattung spekuliert, weist deren Sprecher Johannes Bahrke zurück: "Es ist wichtig, dass der Newsroom unabhängig arbeitet und keinerlei Einfluss ausgesetzt ist." Über journalistische und medienethische Standards wache die dpa. Gemessen am Umsatzvolumen der beteiligten großen Agenturen - 94 Millionen Euro allein bei dpa - sind die knapp 1,8 Millionen, verteilt auf 16 Partner und 24 Monate, in der Tat bescheiden. Auch werde es für Newsroom-Partner "keinen privilegierten Zugang zu Entscheidungsträgern der Kommission" geben, versichert Bahrke.

Richtig ist allerdings auch: Weniger bekannte Agenturen wie die nordmazedonische MIA dürfen eher auf einen Interviewtermin bei den EU-Granden hoffen, wenn sie im Gespann mit ihren prominenten Partnern auftreten. So wie die Kleinen von Stellung, Vernetzung und Fachwissen der Großen profitieren, können letztere im Newsroom-Austausch die Befindlichkeiten in der europäischen Peripherie kennenlernen. Dort liegen mitunter Themen, die europaweite Relevanz besitzen, aber sonst bestenfalls dank Initiativen wie dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) realisiert werden. Dpa-Chef Kropsch erwartet eine gegenseitige Befruchtung: "Durch die Vielfalt im Newsroom wird sich die Perspektive erweitern."

Nicht alle EU-Staaten und Beitrittskandidaten sind in der Kooperation vertreten, aus unterschiedlichen Gründen. Voraussetzung für eine Mitarbeit ist, dass sich das betreffende Medienunternehmen zu Faktentreue und unabhängiger Berichterstattung bekennt. So sehen es die Statuten vor, die auch einen entsprechenden Sanktionsmechanismus beinhalten. "Ein Lippenbekenntnis allein reicht nicht", betont Kropsch. Zum Fehlen bestimmter nationaler Agenturen äußert er sich nicht. Aber er sagt, was auf der Hand liegt: "Manche Regionen Europas haben Probleme mit liberalem Journalismus."

Demokratieförderung wird ausdrücklich als Zweck des übergeordneten EU-Programms "Multimedia Actions" genannt, für das die Kommission insgesamt 20,2 Millionen Euro bereitstellt. Immer mehr Menschen nutzten digitale Medien als Hauptinformationsquellen, heißt es in dem betreffenden Finanzierungsbeschluss vom März 2021. Aber während sich das Angebot vervielfache, kämen paradoxerweise die Nutzer teils seltener mit Meinungsvielfalt und ausgewogenen Inhalten professionell produzierter Medien in Kontakt. Die Förderprojekte sollen geeignet sein, eine pluralistische Debatte voranzubringen und demokratisches Engagement zu stärken.

Vorhaben wie der Agenturen-Newsroom stehen daher aus Brüsseler Sicht in einem weiteren Rahmen, der die Grundlagen der EU selbst betrifft. Im Zusammenhang mit ihren Medieninitiativen verweist die EU-Kommission auf den im Dezember 2020 vorgelegten Europäischen Aktionsplan für Demokratie: Vor dem Hintergrund von "zunehmendem Extremismus und der gefühlten Distanz zwischen den Menschen und den Politikern" geht es dabei um die Sicherung freier und fairer Wahlen, Stärkung der Medienfreiheit und Kampf gegen Desinformation. Zudem sind Initiativen zum Schutz von Journalisten vor Angriffen und missbräuchlichen juristischen Klagen auf dem Weg. Kommendes Jahr will die EU-Kommission ein Gesetz über Medienfreiheit vorlegen, das unter anderem mehr Transparenz bei der Medienfinanzierung schaffen und einer wachsenden Politisierung der Medien in einigen Mitgliedsstaaten entgegenwirken soll. Nicht zufällig dreht sich auch ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Ungarn um den Entzug der Sendelizenz für den unabhängigen Radiosender Klubradio.

Dass die EU-Kommission Medien mit Geld düngt, um gedeihliche Voraussetzungen für den politischen Diskurs zu schaffen, ist nicht neu. Unter dem Eindruck der dominanten Rolle des Senders CNN im Golfkrieg 1991, der als "Krieg der Bilder" in die Mediengeschichte einging, lancierte die Europäische Rundfunkunion (EBU) den gesamteuropäischen Nachrichtenkanal Euronews. Brüssel schloss sich der Idee und der Finanzierung an - was dem Sender den Vorwurf einer EU-freundlichen Tendenz eintrug. Die jährlichen Zuschüsse von zuletzt 23,6 Millionen Euro werden künftig heruntergefahren.

Experte sieht Handlungsbedarf wegen Desinformation

Ungeachtet solcher ambivalenter Erfahrungen sieht der Medienwissenschaftler Lutz Kinkel Bedarf für ein "institutionelles Gegensteuern" gegen Desinformation. "Ganze Gesellschaften rutschen weg", warnt der Leiter des European Centre for Press and Media Freedom in Leipzig (ebenfalls gefördert von der EU-Kommission). Ein Faktor dabei ist die wirtschaftliche Schwäche des Mediensektors; insbesondere gerät investigativer Journalismus unter Druck, den Kinkel den "Sauerstoff der Demokratie" nennt.

Mit Blick auf die geplante Kooperation nahe der EU-Zentrale findet Kinkel es "erfreulich, wenn wir mehr journalistische Qualität in Brüssel haben und wenn europäische Player durch Medien kontrolliert werden". Bedenken, dass die Berichterstattung im neuen Newsroom zu stromlinienförmig ausfallen könne, zerstreut er: "Wenn zehn Journalisten an einem Tisch sitzen, haben sie zwölf Perspektiven."

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