Im Scheinwerferlicht: Lauterbach erfindet sich neu

Von Dietrich Leder (KNA)
POLITIK & MEDIEN - Karl Lauterbach wurde oft als Dauergast bei Talkshows kritisiert, zugleich für seine klaren Worte gelobt. Nun ist der SPD-Politiker mehr als Corona-Experte: Wie hat sich sein Auftreten im TV seit seiner Ernennung als Gesundheitsminister gewandelt?

Berlin (KNA) Karl Lauterbach war in den Tagen vor dem 6. Dezember, an dem der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Frauen und Männer seiner Partei vorstellte, die in seinem Kabinett als Minister mitarbeiten sollten, in vielen Fernsehsendungen präsent. Der SPD-Politiker Lauterbach, der seit 2005 im Bundestag sitzt, startete seine Karriere im parlamentarischen Betrieb als Fachmann für die Ökonomie und Struktur des Gesundheitssystems. In diesen Themen kannte er sich aus, war er doch 1996 als Professor von der Kölner Universität beauftragt worden, ein Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft zu gründen.

Visuell fiel er zunächst durch eine Herren-Fliege auf, mit der er sich von den Krawattenträgern anderer Parteien unterschied. Für das Fernsehen prädestinierte ihn zudem seine Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in knappe, zur Not auch schnell ausgesprochene Sätze zu fassen. Hinzu kamen ein unverwechselbarer, rheinisch-näselnder Tonfall und eine gewisse Meinungsfreude, mit er sich selbst dann äußerte, wenn noch nicht alle Umstände eines Sachverhalts erkennbar waren. Lauterbach wurde also zu einer besonderen Medienfigur, die nichts an Präsenz verlor, als er die Fliege ablegte und mit offenem Hemdkragen vor die Kameras trat.

Es kann diese Medienpräsenz gewesen sein, die ihn, der zur politischen Linken in seiner Partei gerechnet wird, dazu brachte, sich 2019 zusammen mit der Umweltpolitikerin Nina Scheer um den SPD-Vorsitz zu bewerben. Unter den sechs Paaren, die zur ersten Abstimmungsrunde antraten, belegten Lauterbach und Scheer den vierten Platz. Freunde machte er sich mit seiner Kandidatur nicht, da sich die Stimmen der Partei-Linken auf mehrere Paare verteilten. Nach der Niederlage - so schien es jedenfalls - verschwand er erst einmal aus der Fernsehwelt, in die erst nach mehreren Monaten zurückkehrte, als die Corona-Pandemie die Nachrichten zu dominieren begann.

Corona lockte ihn vor die Kameras

Bei diesem Thema war er nicht nur aus medialen, sondern vor allem auch aus Sachgründen der ideale Gesprächspartner, denn er hatte sich in der Medizin nicht nur auf die Gesundheitsökonomie, sondern auch auf die Epidemiologie spezialisiert. So mutierte der Parteipolitiker zum medizinischen Fachmann, der sich mit einem enormen Fleiß auch durch die aktuelle Forschungsliteratur kämpfte. Wurde er an einem Tag mal nicht zur Lage befragt, meldete er sich selbst via Twitter zu Wort. Ihm folgen dort über 700.000 Menschen. Es gab keinen Aspekt der Pandemie, zu dem er sich nicht äußerte. In der Sache war er derjenige, der stets laut vor einer Unterschätzung der Krankheit warnte und entschiedene Maßnahmen forderte.

Freunde machte er sich mit seiner medialen Präsenz nicht überall. Corona-Leugner und Impfgegner beschimpften ihn. Politische Konkurrenten litten unter dem Kreuzfeuer seiner Stellungnahmen. Und Parteifreunde neideten ihm die Vielzahl seiner Auftritte. So war es nicht ausgemacht, dass Olaf Scholz ihm das Amt des Gesundheitsministers antragen würde. In Berlin munkelte man, Lauterbach sei zu sehr ein Einzelgänger, der gerne aus der Phalanx der Partei ausscherte oder politische Kompromisse ignorierte, wenn er denn damit medial punkten könne.

Am 5. Dezember, also am Tag vor Bekanntgabe der SPD-Minister-Riege, saß Lauterbach mal wieder in der Talkshow "Anne Will" (ARD). Es ging selbstverständlich um die Corona-Lage. Aber das erschien phasenweise weniger wichtig als die Personalie Lauterbach. Seinem Verhalten in der Sendung konnte man schon entnehmen, dass sich die politische Lage geändert hatte. Denn den hilflosen Versuchen des FDP-Mannes Konstantin Kuhle, die Corona-Politik seiner Partei im Sommer und im Wahlkampf gegenüber Anne Will zu rechtfertigen, schaute Lauterbach mit neutraler Miene zu, statt grimmig zu blicken oder gar die an Widerspruch reiche Rede zu unterbrechen, wie es noch vor Wochen der Fall gewesen wäre.

Nach vornschauen und nicht zurücktreten

Stattdessen verordnete er der Gesprächsrunde das Credo, man solle nach vorne und nicht zurückschauen. Er nahm damit die FDP, nun Koalitionspartner seiner Partei, gewissermaßen in Schutz. In der Sache selbst blieb der Mediziner, der seit 2005 für die SPD im Bundestag sitzt, bei seinen Mahnungen. Dass er auch im Sommer 2020, als für viele die Pandemie schon vergessen schien, vor einer vierten Welle warnte, die dann prompt nach der Bundestagswahl eintrat, hatte ihm die Sympathie all der medizinischen Kräfte eingetragen, die mit den Folgen der Krankheit in Krankenhäusern, Notfall- und Intensivstationen zu kämpfen haben.

Diese Sympathie drückte in der Sendung die Krankenhausärztin Carola Holzner aus, als sie sagte, dass sie sich sehr freuen würde, wenn Karl Lauterbach Gesundheitsminister der neuen Regierung würde. "Es gibt keinen, der das so gut ausfüllen könnte wie Sie", sagte sie zu Lauterbach. Auf dessen Gesicht zeigte sich nun eine gewisse Verlegenheit. Mit seinen Worten, dass es in seiner Partei eine Reihe von Fachleuten habe, die das gut machen könnten, es also nicht notwendigerweise auf ihn hinausliefe, versuchte er ein Gespräch um seine Person abzublocken. Doch das nützte ihm nichts. Denn nun meldete sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Wort, der aus München der Talkshow zugeschaltet war. Auch er verwandte sich ausdrücklich für Lauterbach als Gesundheitsminister, denn der bräuchte sich nicht wie möglicherweise andere 100 Tage, um sich in die Materie der Pandemie einzuarbeiten. Bei "Anne Will" bildete sich also spontan eine große Koalition der Lauterbach-Fans.

Am nächsten Morgen präsentierte Olaf Scholz in einer live übertragenen Pressekonferenz die SPD-Minister der neuen Regierung. Die Veranstaltung war wie eine Fernsehshow angelegt, die Scholz präsentierte und moderierte. Nacheinander rief er die Frauen und Männer auf, für die er sich als Fachminister entschieden hatte. Diese traten jeweils bei Nennung des Namens aus dem dunklen Hintergrund ins Scheinwerferlicht und gesellten sich zum zukünftigen Kanzler. Als er den neuen Gesundheitsminister aufrief, sagte Scholz, dass sich angesichts der Pandemie "die meisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes" gewünscht hätten, dass dieser vom Fach sei und dass er Karl Lauterbach heiße. Er fuhr nach kurzer, an eine Oscarverleihung erinnernde Spannungspause und mit einem Lächeln fort: "Und er wird es!"

Lauterbach eilte winkend aus der Kulisse und bedankte sich anders als andere nicht bei Scholz, sondern bei der Partei und bei den vielen "zustimmenden Worte aus der Bevölkerung". Olaf Scholz verzog bei diesen Worten keine Miene. Er blickte auch stoisch vor sich hin, als Lauterbach programmatisch erklärte: "Wir müssen die Pandemie bekämpfen. Diese Pandemie wird länger dauern, als viele denken. Wir werden das aber schaffen." Eine Frage, die ein Journalist wenig später an den neuen Minister richtete, beantwortete Scholz dann lieber gleich erst mal selbst, als traute er dem eigenwilligen Lauterbach nicht ganz über den Weg.

Als Minister bei Will

Sechs Tage später saß Karl Lauterbach am 12. Dezember erneut bei "Anne Will", nun als Minister. Zu Beginn musste er sich anhören, wie der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel seine Ernennung zum Gesundheitsminister als "Plebiszit der Talkshows" bezeichnete. Etwas umständlich erwiderte Lauterbach auf diese Pointe mit dem Hinweis, dass Scholz ihn schon seit 19 Jahre kenne und dieser also seine "Eignung für das Amt" des Gesundheitsministers nicht aus Talkshows "abgeleitet" habe. In der Sachdebatte bemühte sich der sonst so angriffslustige Lauterbach um staatstragende Klänge, als er beispielsweise den Ton der Debatte kritisierte. Es wäre fatal in der derzeitigen Lage, den "schwarzen Peter" der jeweils anderen Partei in die Schuhe zu schieben, statt gemeinsam die Impfkampagne inclusive Drittimpfung zu forcieren, so seine Mahnung. So zurückhaltend er sich gab, konnte er sich einen Seitenhieb auf seinen Vorgänger nicht ersparen, der "sicherlich nicht alles richtig gemacht" habe.

Zwei Tage später konnte man den neuen Pragmatismus des Ministers Lauterbach erleben, als er verkündete, zukünftig solle der Nachweis der dritten Impfung (die sogenannte Booster-Impfung) an die Stelle etwaiger zusätzlicher Tests im Sinne der 2Gplus-Regelung treten. Mit dieser Entscheidung, an der auch die Gesundheitsminister der Länder beteiligt waren, solle - so Lauterbach auf einer Pressekonferenz - ein Anreiz für die dritte Impfung gesetzt werden, die angesichts der neuen Corona-Omikron-Variante wichtiger würde. Dem widersprachen prompt einige Virologen, auch wenn sie der gesellschaftspädagogische Absicht, die hinter dieser Entscheidung steckt, zustimmten. Sie hielten aber die Testpflicht für weiterhin notwendig, da auch Menschen, die dreimal geimpft sind, erkranken und somit andere anstecken können. Ein Karl Lauterbach, der nicht Gesundheitsminister wäre, hätte sich dieser Kritik vermutlich noch angeschlossen.

Im Mittelpunkt eines Interviews der "Tagesthemen" am 14. Dezember, von dem die "Tagesschau" um 20.00 Uhr bereits Ausschnitte zeigte, stand allerdings etwas anderes. Lauterbach gab im Gespräch mit Carmen Miosga bekannt, eine erste Inventur habe gezeigt, dass es einen "Impfstoffmangel im ersten Quartal" des neuen Jahres geben werde. Er arbeite "seit Tagen daran", diesen Mangel zu beheben. Einen Mangel, den wohl auch sein Vorgänger im Amt, Jens Spahn (CDU) zu verantworten habe. Nun wusste man, was Lauterbach meinte, als er bei Anne Will gesagt hatte, Spahn hätte nicht alles richtig gemacht. Gleichzeitig bot ihm das die Chance, sich als Macher zu inszenieren, der auf allen Ebenen (national, in der EU und in Gesprächen mit den Herstellern) darum kämpfe, genug Impfstoff für den hoffentlich siegreichen Kampf gegen eine mögliche fünfte Corona-Welle zu organisieren.

In der Zusammenfassung des Interviews sah man im Übrigen für einen Augenblick ein Schnittbild, das Lauterbach in einem Fernsehstudio vor einer grünen Wand zeigte, während auf einem vor ihm stehenden Monitor das fertig gemischte Interview-Bild zu sehen war, auf dem hinter Lauterbach eine Berlin-Ansicht mit dem Reichstag eingeblendet war. So wie eine Fernsehredaktion das Hintergrundbild je nach Ort des Live-Interviews austauscht, hat sich Karl Lauterbach vom omnipräsenten Fachmann zum staatstragenden Minister verwandelt, der aber durchaus auch parteipolitisch denkt und sich im Kontrollblick seines Kanzlers weiß.


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