Zu früh zum Jubeln - Ein Kommentar zum Digital Services Act

Von Andreas Büsch
Das EU-Parlament hat seine Position zum Digital Services Act beschlossen. Doch den Tech-Riesen kann es damit noch nicht an den Kragen gehen. Und selbst wenn, dann ist eines mindestens genauso wichtig wie Regulierung: Medienbildung.

Mainz (KNA) Endlich war es so weit: Das EU-Parlament hat am 20. Januar das Gesetz zur Regulierung digitaler Dienste (Digital Services Act, DSA) beschlossen. Der Zwilling zum Digital Markets Act (DMA), der bereits im Dezember 2021 verabschiedet wurde, soll dafür sorgen, dass auch online illegal ist, was offline illegal ist - so das häufig kolportierte Motto. Also nach mehreren Jahren der Diskussionen und Beratungen "Ende gut, alles gut"?

Seit der E-Commerce-Richtlinie im Jahr 2000 haben sich die gesetzlichen Regulierungen nicht wesentlich geändert. Dagegen haben sich digitale Technologien und Geschäftsmodelle radikal weiterentwickelt. Und so scheint es dringend geboten, endlich wirksam Abhilfe zu schaffen gegen illegale Angebote und Inhalte im Netz. Es gilt, die großen Plattformbetreiber in die Pflicht zu nehmen, wozu ein Recht auf Schadensersatz für Verbraucher ebenso gehört wie mehr Transparenz bei algorithmenbasierten "Empfehlungssystemen". Weiterhin sollen vor allem Minderjährige vor gezielter Werbung geschützt und die Beeinflussung von Nutzern durch "Dark Patterns" verhindert werden.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Eine gesetzliche Regulierung der Aktivitäten der "Big Five" aus dem Silicon Valley, Google (Alphabet), Amazon, Facebook (Meta), Apple und Microsoft, ist dringend geboten. Aber großspurig zu behaupten, man habe den Wildwestmanieren nun endgültig einen Riegel vorgeschoben, ist aus mehreren Gründen falsch.

Erstens ist das Gesetzgebungsverfahren noch gar nicht beendet. Wer sich die Mühe macht, auf den Seiten des EU-Parlaments nachzulesen, findet dort hübsche Grafiken ebenso wie ganze Seiten zu den Verfahrensschritten. Und dann wird klar, dass der beschlossene Text erst die Grundlage für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten ist. Und dort, im EU-Ministerrat, gibt es in einigen Punkten durchaus andere Positionen mit zum Teil weniger weitreichenden Regelungen.

Zweitens weisen Ökonomen darauf hin, dass die Übermacht vor allem der großen Tech-Konzerne längst als Beweis von Marktversagen gelten muss. Deshalb brauche es deutlich weitergehende Regulierungen, damit nicht weiterhin Unternehmen bestimmen können, was erlaubt ist und was nicht. Fehlende Haftung für Inhalte, fehlende Regelungen zur Abgeltung für Inhalte Dritter, weitgehende Ignoranz gegenüber europäischen Datenschutz-Vorstellungen - die Liste der netzpolitischen Problemfelder, für die der DSA keine Antworten liefert, ließe sich fortsetzen.

Drittens können die Regelungen gar nicht kleinteilig genug sein. Am Beispiel der sogenannten Dark Patterns - letztlich Design-Tricks, die es Usern von Websites erschweren, die gewünschten Einstellungen zum Beispiel für Cookies vorzunehmen - wird schnell deutlich, dass erfinderische Betreiber immer wieder neue "Umwege" finden, um die Besucher zur Zustimmung zu nötigen. Oder ihnen eine Kaufentscheidung nahezulegen. Oder ihr Verhalten anderweitig zu beeinflussen.

Es kommt also am Ende immer auch auf Netznutzerinnen und Verbraucher an, sich fit zu machen. Mit anderen Worten: Ohne Medienbildung beziehungsweise die Vermittlung von Medienkompetenz wird die Nutzung digitaler Medien auf Dauer weder sinnvoll noch verantwortlich möglich sein. Erschreckend genug, wenn Jugendliche in der JIM-Studie 2021 angeben, dass sie in Datenschutzfragen nur bedingt sensibel sind. In Gesprächen ist gelegentlich auch von Resignation die Rede - "Ich klick dann einfach auf Ja".

Es braucht also mehr Medienbildung beziehungsweise Angebote zur Vermittlung von kritischer Kompetenz, was auch die katholische Kirche in den letzten Jahren immer wieder betont hat. Zuletzt im Thesenpapier der Publizistischen Kommission zu Künstlicher Intelligenz und Digitalität. In den Thesen 11 und 12 ist dort übrigens auch von der Notwendigkeit länderübergreifender politischer und ethischer Regulierung die Rede. Und von den notwendigen Kompetenzen der Nutzer. Beide Seiten der Medaille gehören zusammen!

Der Autor Andreas Büsch ist Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Hochschule Mainz und leitet dort die Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz.


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