Über die Probleme filmischer Rekonstruktionen der NS-Verbrechen

Von Dietrich Leder (KNA)
GESCHICHTE & MEDIEN - Den Jahrestag der Wannseekonferenz haben einige Produktionen genutzt, um Geschichten über die NS-Verbrechen zu erzählen. Die Fernsehfilme und Dokumentationen unterscheiden sich auch innerhalb eines Genres sowohl inhaltlich als auch konzeptionell. KNA Mediendienst-Autor Dietrich Leder ist der Frage nachgegangen, ob es eine ideale Form geschichtlicher Rekonstruktion gibt
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Bonn (KNA) In diesen Tagen kam es zu einem Themenschwerpunkt in deutschen Fernsehprogrammen und auf Streaming-Plattformen, was die Geschichte der NS-Verbrechen angeht. Das hat mit Jahrestagen zu tun. So jährte sich am 20. Januar zum 80. Mal die Wannseekonferenz, auf der die systematische Ermordung der europäischen Juden beschlossen wurde. Es hat aber auch damit zu tun, dass bestimmte internationale Produktionen eher im Winter als im Sommer ausgestrahlt werden.

Unter den Produktionen findet sich eine Dokumentation: "Die Wannseekonferenz" von Jörg Müllner, die das ZDF am 24. Januar im Kontext des gleichnamigen Fernsehfilms von Regisseur Matti Geschonneck ausstrahlte. Der Mainzer Sender hatte den Tag damit begonnen, dass er Teile seines Morgenmagazins aus der Gedenkstätte übertrug, zu der das einstige Gästehaus der SS am Berliner Wannsee umgewandelt worden ist; in den Live-Gesprächen ging man der Konferenz von 1942 nach, warb aber zugleich für das, was dann abends im Programm zu sehen sein würde.

In der Dokumentation erzählt Jörg Müllner die Vor- und Nachgeschichte dessen, was am 20. Januar 1942 beschlossen wurde. Er hat zum Thema zehn Fachleute befragt, die darüber geforscht haben. Mit ihrer Hilfe schildert er im Film, wie die Nazis fortschreitend die Juden aus der Gesellschaft ausschlossen, dann entrechteten und stigmatisierten, ehe sie deportiert und ermordet wurden. Er konkretisiert das Schicksal vieler am Beispiel einer Berliner Familie und an der Geschichte seiner einzigen Zeitzeugin, Margot Friedländer, die im Berliner Untergrund überlebte, während ihre Mutter und ihr kleinerer Bruder in Auschwitz ermordet wurden.

Der Film erwähnt alles das, was wichtig ist, um die Wannseekonferenz richtig einzuordnen, beispielsweise dass schon lange vorher das Massenmordprogramm gestartet worden war und dass es vor allem nun, im Januar 1942, bürokratisch systematisiert wurde, weil es erste Anzeichen auf eine Niederlage im Weltkrieg gab, wie der Historiker Götz Aly im Film sagt.

Propaganda-Bilder der Nazis sind problematisch

Problematisch an diesem Film ist etwas, was viele Dokumentationen zu diesem Thema betrifft. Es benutzt Propaganda-Bilder der Nazis. Es sind Aufnahmen der Täter, in denen die Opfer stets nur degradiertes und entsubjektiviertes Objekt sind. Solche Bilder kann man nur verwenden, wenn man gleichzeitig erklärt, wer sie mit welcher Absicht aufnahm und welche Menschen mit welchem Schicksal auf ihnen zu sehen sind. Jörg Müllner ist sich dessen bewusst, denn er lässt auch den Filmwissenschaftler Tobias Ebbrecht-Hartmann zu Wort kommen, der an einigen dieser Nazi-Aufnahmen die Geschichte der abgebildeten Menschen rekonstruiert. Der Filmwissenschaftler weist auch darauf hin, dass all diese Aufnahmen gegen den Willen der Aufgenommenen geschahen. Daraus zog Jörg Müllner für den Rest seines Films keine Konsequenz.

An seiner Dokumentation kann man zudem den Trend ablesen, dass solche Produktionen immer häufiger Anleihen bei Spielfilmen nehmen. So gab es einige Aufnahmen, die der Regisseur initiiert hatte und für die er sich einer Steadycam-Kamera bediente. Zudem ist der Film fast pausenlos von Musik unterlegt, mit der die Emotion der Zuschauer gesteuert wird. Und sein mitunter raunender Kommentar dramatisiert etwas, was der Dramatisierung nun wirklich nicht bedurfte.

Diese Beifügung von Elementen, die aus der Spielfilmproduktion stammen, hat Raymond Ley für seinen Fernsehfilm "Nazijäger - Reise in die Finsternis", den die ARD am Abend des 16. Januar ausstrahlte, auf die Spitze getrieben. Hier gehen dokumentarische und inszenierte Szenen fugenlos ineinander über. In der Summe dominieren die fiktionalen Szenen, die aber - das betont der Film immer wieder - auf Dokumenten und Zeugenaussagen beruhen. Erzählt wird eine zweifache Geschichte. Zum einen geht es um eine Einheit der britischen Armee, die nach der Eroberung deutscher Gebiete Anfang 1945 damit begann, nach den Verantwortlichen für den Massenmord an den europäischen Juden wie für den mörderischen Angriffskrieg zu suchen. Die Einheit, deren Erlebnisse in den Jahren 1945 und 1946 der Film schildert, entdeckte beispielsweise Rudolf Höß, den mehrjährigen Leiter des Vernichtungslagers Auschwitz, der unter falschen Namen untergetaucht war.

Zum anderen geht es um ein konkretes Verbrechen, dem die Einheit auf die Spur kommt. Im Oktober 1944 hatte ein Hamburger Arzt 20 jüdische Kinder aus Auschwitz angefordert, um an ihnen medizinische Versuche durchzuführen. Diese Kinder wurden im Januar 1945 im Konzentrationslager Hamburg-Neuengamme fürchterlichen Maßnahmen unterzogen und bestialisch gefoltert. Als britische Truppen sich Hamburg näherten, wurden die Kinder im Keller einer Schule ermordet.

In seinen stärksten Szenen geht es um die Frage, wie jene, die nun die Täter jagten, mit ihren Entdeckungen umgehen. Es geht auch um die Frage, wie sie den Tätern begegnen sollen, die ihre Taten hinter bürgerlicher Biederkeit verstecken und sich auf Befehlsnotstand herausreden. Problematisch ist die Verwirbelung von dokumentarischen und fiktionalen Szenen. Da sieht man Aufnahmen von heutigen Kindern, die durch Maske und Kleidung den historischen Kindern ähnlich gemacht werden, die damals in Hamburg gequält und umgebracht wurden. Da sieht man, wie gegenwärtige Zuschauer einer inszenierten Gerichtsszene beiwohnen, in der jener Fabrikant, der das Giftgas Zyklon B produzierte, seine Unschuld beteuert. Das erklärt wenig und bleibt nichts als ein Spiel mit den Erzählebenen. Noch problematischer ist der Versuch, die medizinischen Maßnahmen an den Kindern im Bild anzudeuten, als ließe sich die tatsächliche Gewalt mit Filmtricks erfassen.

Film "Die Wannseekonferenz" ohne Mätzchen

Der Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz" von Matti Geschonneck ist von solchen Mätzchen frei. Er konzentriert sich auf die Konferenz selbst. Es ist ein Ensemblefilm. Jedes Mitglied der NS-Elite, die hier Heydrich in seiner Eigenschaft als Chef des Reichssicherheitshauptamtes versammelt hat, wurde mit einem bekannten Schauspieler besetzt. Heydrich wird beispielsweise von Philipp Hochmair gespielt, der spätere Nazi-Richter Freisler von Arnd Klawitter, der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Martin Luther durch Simon Schwarz. So beachtlich diese Besetzung ist und so gut die Schauspieler auf ihre Rolle - die NS-Sprache, die militärischen Gesten und ein auftrumpfendes Verhalten - durch den Regisseur vorbereitet wurden, so verblüffend ist ein Vergleich mit den Männern, die sie darstellen. Denn die Schauspieler sind meist zehn Jahre älter als die Mitglieder dieser NS-Elite, die ja bereits im Alter von Ende dreißig höchste Posten erklommen hatten.

Das Drehbuch stammt von Magnus Vattrodt und Paul Mommertz. Letzterer hatte auch die Vorlage zu einem anderen Fernsehfilm desselben Namens geschrieben, den die ARD am 19. Dezember 1984 ausgestrahlt hatte. (BR Alpha hat ihn dieser Tage wiederholt, er ist aber nicht über die ARD-Mediathek zugänglich; allerdings findet sich bei YouTube eine englisch untertitelte Fassung dieses vom BR produzierten Films.) Auch dieser von Heinz Schirk inszenierte Film ist ein bis in die kleinste Rolle gut besetztes Ensemblestück (Heydrich wird hier von Dietrich Mattausch gespielt). Beide Drehbücher folgen dem Protokoll der Konferenz, das Adolf Eichmann erstellte. Von den 30 Exemplaren des Protokolls blieb nur eines erhalten, alle anderen wurden vernichtet, weil es die Beteiligung aller Ministerien und Dienststellen dokumentiert.

Da es sich um ein Ergebnisprotokoll handelt, mussten die Drehbuchautoren viele Gesprächsszenen erfinden. Sie bedienten sich dazu der Dokumente, die bei der juristischen Verfolgung der Verbrechen gesammelt worden waren. So wurden Aussagen, wie sie in den Prozessen gegen die Täter bezeugt worden waren, zu Dialogen umfunktioniert. Das verleiht den szenischen Gesprächen mitunter eine starke Erklär-Funktion, wie sie auch eine in beiden Filmen auftauchende Szene erfüllt, in der umständlich eine Karte ins Bild gerückt wird, auf dem der Stand deutscher Truppen in Europa festgehalten ist. Eine Szene für die Zuschauer, denn die NS-Kader waren über nichts besser informiert als über den Frontverlauf.

Worin unterscheidet sich der neue vom alten Film? Formal dadurch, dass Schirk 1984 seine Darstellung mit Nebengeschichten befrachtet hatte, in denen die NS-Funktionäre als gewöhnliche Menschen erscheinen sollen, da flirtet Heydrich mit der Protokollantin der Konferenz, da spielt der SS-Mann Lange (Martin Lüttge) mit seinem Schäferhund, da wird am Telefon herumgeschrien, um Tatkraft zu demonstrieren. Geschonneck verzichtet auf solche Arabesken. Er konzentriert sich auf das, was sachlich im Zentrum steht: Die Einschwörung auf das Mordprogramm. Dabei charakterisiert er einige Personen anders als noch Heinz Schirk. Bei diesem hatte es so ausgesehen, als seien die zivilen Staatssekretäre Kritzinger und Stuckart vom verkündeten Mordprogramm irritiert, ja, als stünden sie gar zu ihm in Distanz. Bei Geschonneck erfolgen ihre Einsprüche und Fragen allein aus Gründen der Eitelkeit, nicht aus Gründen einer wie immer gearteten Moral.

Zugleich arbeitet Geschonneck anders als Schirk stärker die Sprache heraus, mit der hier vom Mord gesprochen wird. Es sind bürokratische Begriffe wie "Endlösung", "Sonderbehandlung" oder "Wegarbeiten", hinter denen das, was sie meinen, nämlich millionenfacher Massenmord, verschwindet. So wird deutlich, dass diese sprachliche Tarnung eine doppelte Funktion besaß. Zum einen soll sie ein augenzwinkerndes Einverständnis aller Beteiligten herstellen, zum anderen diejenigen, die am Mordprozess als Bürokraten beteiligt waren, vor sich selbst entlasten. Die tatsächliche Gewalt des millionenfachen Mordes scheint also in den Begriffen auf, mit denen sie getarnt wird. Ein Satz, den Mattausch als Heydrich 1984 sprach, fehlt aus verständlichen Gründen im neuen Film: Hitler sehe sich als "Robert Koch der Politik, der den tödlichen Bazillus ausrottet, um den Organismus zu retten".

Hitler nicht immer persönlich präsent

Viele der Beteiligten beziehen sich mehrfach auf Hitler. Der im aktuellen Film von Peter Jordan gespielte Gauleiter Meyer war bei einem Treffen mit Hitler dabei, als dieser seine Erwartung an die "Endlösung" formulierte. Hitler wird so als die oberste Autorität herbeizitiert, um das Mordprogramm zu legitimieren. Persönlich präsent ist Hitler in einem anderen Historienfilm, der dieser Tage zu sehen ist: "München - Im Angesicht des Krieges". Der von Christian Schwochow inszenierte Film behandelt die Konferenz von München, auf der Großbritannien zusammen mit Frankreich und dem faschistischen Italien im September 1938 der Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei und der Einverleibung durch Deutschland zugestimmt hatte. Der britische Premierminister Chamberlain hatte gehofft, Hitler so von einem Angriffskrieg abhalten zu können. Der Spielfilm, den Netflix seit dem 21. Januar zum Abruf für seine Abonnenten bereithält, basiert auf dem Roman "München", den Robert Harris 2017 veröffentlichte.

Der Schriftsteller erzählt von der Konferenz aus einer Doppelperspektive. Da ist zum einen die offizielle Perspektive, die der Film mit vielen Schauspielern und Statisten nachstellt. Da ist zum anderen die Perspektive zweier fiktiver Figuren. Es sind zwei junge Männer, der eine Engländer, der andere Deutscher. Sie hatten sich Anfang der 1930er-Jahre beim Studium kennengelernt und machten danach in ihren Ländern Karriere. Der eine wird Privatsekretär bei Chamberlain, der andere steigt im Auswärtigen Amt in Berlin auf.

Diese Konstruktion übernimmt der Film. Seine Spannung entfacht er dadurch, dass dem realen historischen Ereignis durch die fiktionale Ergänzung die Möglichkeit eines anderen Verlaufs beigefügt wird. Das geht so weit, dass der junge Deutsche mit einer geladenen Pistole in einem Gespräch vor Hitler steht, um ihn umzubringen. Eine Szene, die auch mancher Hollywoodfilm bereits in den 1940er-Jahren durchgespielt hatte. Außerdem will der Film wie der Roman ein gängiges Geschichtsbild korrigieren.

Die beiden Freunde wollen das Abkommen verhindern, damit Hitler sofort seine Kriegspläne in die Tat umsetzt, die real erst 1939 Wirklichkeit wurden. Sie übergeben Chamberlain das Protokoll einer Sitzung, auf der Hitler vor führenden Militärs über sein kriegerisches Vorhaben spricht. Doch Chamberlain will davon nichts hören. So kommt es zum Abkommen, das Chamberlain zu Hause mit den Worten verkauft, damit sei "Frieden für unsere Zeit" erreicht. Das entspricht noch der klassischen Lesart des realen Ereignisses.

Doch dann folgt eine Art von Ehrenrettung des britischen Politikers, der für seine "Appeasement-Politik" oft kritisiert wurde. Denn durch das geheime Protokoll angeregt, das ihm die beiden Freunde besorgten, bittet er Hitler zu einem persönlichen Gespräch. Am Ende dieser Unterredung, die auch in der Wirklichkeit stattfand, wurde eine gemeinsame Erklärung von beiden unterschrieben, nach der beide Länder niemals wieder Krieg gegeneinander führen würden. Im Film sagt Chamberlain, den Jeremy Irons mit der Noblesse eines englischen Berufspolitikers ausstattet, dass er Hitlers Worten nicht traue, dass er aber diese Erklärung verwenden würde, sollte es doch zu einem Krieg kommen. Wenn Hitler sein Wort breche, würden die Welt und vor allem die USA über ihn Bescheid wissen.

Hitler wird im Film von Ulrich Matthes gespielt, der bei den Dreharbeiten bereits 61 Jahre alt war. Hitler war in München gerade einmal 49 Jahre. Es ist, als sollten die Nazis in der fiktionalen Darstellung eher alte Männer sein.

Die unterschiedlichen Darstellungsformen der erwähnten Filme - von der Dokumentation über die Inszenierung eines erhalten gebliebenen Protokolls bis zur Erfindung einer dramatischen Rahmenhandlung - verweisen darauf, dass es eine ideale Form geschichtlicher Rekonstruktion nicht gibt. Gleichzeitig gilt es, sich der Probleme einer solchen Darstellung, sei sie dokumentarisch, sei sie fiktional, bewusst zu werden.

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