Ein erster Blick auf 2.600 Stellungnahmen zur Reform der Öffentlich-Rechtlichen

Von Steffen Grimberg (KNA)
MEDIENPOLITIK - Die Reform der öffentlich-rechtlichen Sender stößt auf großes Interesse: 2.600 Eingaben wurden online zum Diskussionsentwurf zur Strukturoptimierung eingereicht. Deren Veröffentlichung und Auswertung wird dauern. Einige Stellungnahmen sind aber schon bekannt. Branchenverbände machen dabei auf Problemfelder aufmerksam. Oft sind es finanzielle Aspekte, aber auch inhaltliche Punkte, die kritisiert werden.

Bonn (KNA) Vor allem ganz normale Bürgerinnen und Bürger haben sich nach Angaben der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz an der am 14. Januar beendeten Online-Konsultation über die Reform der öffentlich-rechtlichen Medien beteiligt. Insgesamt wurden mehr als 2.600 Stellungnahmen zum Diskussionspapier der Rundfunkkommission der Länder abgegeben, die nun in einen neuen Medienstaatsvertrag münden sollen. Im Vergleich zur ersten medienpolitischen Online-Konsultation vom Sommer 2018 ist das eine deutliche Steigerung, damals wurden nur rund 1.200 Stellungnahmen gezählt. Dies zeige, "dass unser Mediensystem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als wesentliche Säule den Menschen nicht gleichgültig ist", sagte in Mainz Staatssekretärin Heike Raab (SPD). Sie koordiniert in der Rundfunkkommission für das Vorsitzland Rheinland-Pfalz die Medienpolitik der Länder.

Die Rundfunkkommission will nun zügig mit der Auswertung beginnen. Nach einer ersten, noch unvollständigen Durchsicht fänden sich unter den Stellungnahmen "teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt leisten muss, wie er dafür aufgestellt werden sollte und vor allem, wie die Anstalten ihren Auftrag bei der konkreten Gestaltung ihrer Angebote umsetzen sollen", so Raab. Hier zeigten sich sehr deutlich die Herausforderungen, die mit dem Anspruch, ein "Angebot für Alle" anzubieten, einhergehen.

Und auch wenn Raab ausdrücklich betonte, dass jeder Vorschlag die gleiche Berechtigung habe und sorgsam geprüft werde, kommt natürlich den Stellungnahmen der Branchenverbände und der Anstalten selbst eine deutliche höhere Bedeutung zu.

Branchenverbände kommentieren nicht überraschend

Anders als offenbar bei den Stellungnahmen einzelner Bürgerinnen und Bürger gibt es hier keine großen Überraschungen. Soweit sie öffentlich zugänglich sind, bewegen sie sich vielmehr auf den bekannten Pfaden der Medienpolitik.

Vaunet, der Verband Privater Medien, in dem vor allem die privaten TV- und Hörfunksender organisiert sind, sieht bei dem vorliegenden Diskussionsentwurf einen "erheblichen Nachbesserungsbedarf". Das Papier lege ein zu starkes Gewicht auf das öffentlich-rechtliche Medienangebot. Zwar begrüßt Vaunet die beabsichtige Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils mit einer klaren Schwerpunktsetzung auf Kultur, Bildung und Information. Vieles davon sei in dem aktuellen Entwurf "jedoch noch in Klammern gesetzt oder nur sehr vage formuliert". Lies: Die Privaten trauen der Politik nicht zu, dies auch durch- und umzusetzen. Immerhin: Die Vorgabe, dass Unterhaltung nur dann Teil des Auftrags sein soll, wenn sie einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entspricht, sei ein "vielversprechendes Signal". Die Medienpolitik müsse ARD, ZDF und Deutschlandradio aber noch mehr "erkennbarere Unterscheidbarkeit von den privaten Angeboten vorgeben", schreibt Vaunet.

Vor allem das Thema Unterhaltung birgt hier Konfliktstoff. Schon im Dezember 2021 hatte sich Christian Franckenstein, Chef der öffentlich-rechtlichen Produktionsfirma Bavaria-Film zu Wort gemeldet. Franckenstein sieht in der Vorgabe zur Unterhaltung eine deutliche Abwertung: "Demnach ist eben die Unterhaltung nicht mehr ebenbürtig mit den Bereichen Kultur, Bildung, Information", schrieb er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). An der Unterhaltung und an ihrem Stellenwert zu rütteln, sei aber grundfalsch: "Eine breit aufgestellte, inhaltlich vielfältige Unterhaltung sichert Reichweite. Die Bedeutung eines Mediums leitet sich gerade in diesen Zeiten des Umbruchs insbesondere auch aus der Antwort auf die Frage ab, wie viele Konsumenten ich mit meinem Angebot erreiche", so der Bavaria-Film-Chef.

Das wiederum dürfte Vaunet anders sehen. Der Verband vermisst in dem Entwurf für den neuen Medienstaatsvertrag auch Maßnahmen zu einer weiteren "Entkommerzialisierung" der Öffentlich-Rechtlichen. Das seit vielen Jahren diskutierte vollständige Verbot von Werbung und Sponsoring im öffentlich-rechtlichen TV bleibe weiter außen vor. Auch im Radiobereich fordert Vaunet eine deutliche Reduzierung des Werbeumfangs auf 60 Minuten pro Tag; nur noch eine Welle pro Anstalt soll überhaupt Hörfunk-Werbung ausstrahlen dürfen. Am meisten stößt sich Vaunet aber an der geplanten Flexibilisierung der sogenannten Beauftragung der Anstalten durch die Politik.

Programme linear, im Netz oder als App?

Bislang sind alle TV-Kanäle ausdrücklich im geltenden Medienstaatsvertrag aufgeführt und damit beauftragt. Der neue Entwurf sieht vor, in dieser Form nur noch das Erste (Programm) der ARD, das ZDF, die sogenannten Dritten sowie die durch internationale Verträge geschaffenen Programme 3sat und Arte aufzuführen. Damit hätten es ARD und ZDF selbst in der Hand, wie sie mit ihren weiteren Gemeinschaftsangeboten wie dem Kinderkanal und Phoenix oder ihren digitalen TV-Kanälen wie ZDFneo oder tagesschau24 verfahren. Dabei ist im neuen Medienstaatsvertrag ausdrücklich auch vorgesehen, dass die Anstalten selbst entscheiden können, ob sie solche Programme zukünftig nur noch im Internet oder per App anbieten. Sie könnten diese auch ganz beenden und dafür andere Angebote schaffen. "Wenn die Anstalten künftig maßgeblich selbst mitentscheiden, welche Angebote sie zur Verfügung stellen, würden sie und nicht der Gesetzgeber unmittelbar über das Wettbewerbsverhältnis zu den privaten Medien entscheiden", moniert Vaunet. Es müsse aber "Aufgabe und Gestaltungshoheit der Legislative bleiben, konkret zu bestimmen, welchen Auftrag die Rundfunkanstalten wahrnehmen sollen".

Statt ein "ausbalanciertes Mediensystem mit zwei starken Säulen zu befördern", drohe der Entwurf daher "die Statik der dualen Medienordnung nachhaltig zulasten der privaten Anbieter zu verschieben", befürchtet der Verband. Vaunet fordert daher die Länder zu "bilateralen Gesprächen" über das weitere Verfahren auf.

Auch dem Deutschen Landkreistag ist die vorgesehene Flexibilisierung der Beauftragung ein Dorn im Auge - allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel. Der Verband vertritt die 295 deutschen Landkreise und entsendet Vertreter in die Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Sein Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke ist beispielsweise Mitglied des ZDF-Fernsehrats. Henneke hatte bereits am 13. Januar in einem "FAZ"-Beitrag kritisiert, dass die Verantwortung über den Umgang mit den künftig nicht mehr direkt beauftragten Programmen "vollen Umfangs auf die Landesrundfunkanstalten, das ZDF und deren Gremien übertragen" werde. Dies sei die "vollständige Flucht der Länder aus der eigenen Verantwortung", so Henneke.

Kritik an Trennschärfe bei Genres

Die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der ARD begrüßt dagegen die Vorlage als "Chance auf eine grundlegende, zukunftsweisende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks". Der Entwurf setze "den Rahmen für eine kontinuierliche Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils im weiteren Prozess der digitalen Transformation". Gleichwohl sieht die GVK, das oberste Gremium der für die Aufsicht über die ARD-Anstalten zuständigen Rundfunk- und Verwaltungsräte, umfangreichen Verbesserungsbedarf. So sei "eine trennscharfe Abgrenzung unterschiedlicher Genres", wie sie im Entwurf zur Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils vorgesehen ist, "weder praktisch leistbar, noch rechtssicher durchführbar", schreibt die GVK. Sie regt zudem an, die häufig verwendeten Begriffe "Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" im neuen Medienstaatsvertrag "verbindlich zu präzisieren", um Unklarheiten bei der späteren Auslegung vorzubeugen.

Skeptisch ist die GVK auch beim Punkt Auftragsflexibilisierung, vor allem, wenn es um den Umstieg eines bisher linearen auf ein reines Web-Angebot geht. Denn hier schreibt der Entwurf das Gebot der Kostenneutralität fest. "Wenn aus validen Gründen (...) ein Fernsehkanal in ein non-lineares Angebot überführt oder gegen einen neuen Fernsehkanal ausgetauscht wird, dann resultiert dies gegebenenfalls in einem finanziellen Mehrbedarf", hält die GVK dagegen und sieht einen klaren Verstoß gegen "den Anspruch der Anstalten auf bedarfsgerechte Finanzierung".

Dass sich beim Geld die Geister scheiden, ist dabei so erwartbar wie konfliktträchtig. Gegen die Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags haben die wenigsten Stellungnahmen etwas. Bei seiner Flexibilisierung im Sinne der größeren Eigenverantwortung der Anstalten sieht das anders aus. Welche Programme und Inhalte sie künftig auf welchen Kanälen und Plattformen anbieten, ob diese klassisch linear oder nur noch "on demand" sein werden, birgt jede Menge Konfliktstoff. Das zeigt auch die Stellungnahme von Vaunet. "Die von den Ländern angedachten Profilschärfungen unterstützen wir nachdrücklich", heißt es dort. Dagegen verschärfe "jede Zunahme des öffentlich-rechtlichen On-Demand-Angebotsumfangs den Wettbewerb mit privaten Angeboten". Und auch "die Präsenz von ARD und ZDF auf Drittplattformen" müsse überdacht werden.

Was sagen die Verleger?

Bislang sind die Stellungnahmen der Verlegerverbände BDZV (Tageszeitungen) und VDZ (Zeitschriften) nicht veröffentlicht. Es ist aber davon auszugehen, dass auch sie die im Entwurf ausdrücklich erwähnte und zum weiteren Ausbau freigegebene Präsenz von öffentlich-rechtlichen Inhalten auf Drittplattformen wie YouTube kritisieren werden. Denn zum einen stehen dort - wie überall im Netz - öffentlich-rechtliche und private Angebote in direkter Konkurrenz, wobei sich letztere am Markt finanzieren müssen. Ein von den Verlegerverbänden schon häufig vorgebrachtes Argument lautet darüber hinaus, dass die öffentlich-rechtlichen Inhalte auf Facebook, YouTube oder Instagram nur formal dem auch im neuen Medienstaatsvertrag verankerten Verzicht auf Werbung genügen, da die Plattformen an sich sehr wohl Werbung enthalten. Außerdem dürfte BDZV wie VDZ die Fortschreibung des Verbots presseähnlicher Angebote im geplanten Medienstaatsvertrag missfallen. Hier sähen sie vermutlich gerne substanzielle Änderungen, die weitere Beschränkungen für ARD, ZDF und Deutschlandradio bedeuten würden.

Welchen Einfluss die Stellungnahmen im Rahmen der Online-Konsultation auf das weitere Verfahren genau haben werden, wird sich erst beurteilen lassen, wenn alle 2.600 veröffentlicht sind. Und das kann noch eine Weile dauern. "Angesichts der Menge der Eingaben" bat in Mainz Heike Raab als Herrin des Verfahrens "auch um etwas Geduld - sowohl hinsichtlich der Auswertung als auch für die angekündigte Veröffentlichung der Eingaben auf der Homepage der Rundfunkkommission".

 

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